Verkaufen Kreditnehmer ihre Immobilie und zahlen sie ihr Darlehen vorzeitig zurück, müssen sie oft eine happige Entschädigung an die Bank zahlen. Es sei denn, sie haben einen Joker, der sie davor bewahrt. Das kann eine bislang wenig beachtete Gesetzesänderung sein, die für alle seit 21. März 2016 geschlossenen Immobilienkreditverträge gilt. Danach steht Banken keine Vorfälligkeitsentschädigung zu, wenn die Angaben über deren Berechnung im Vertrag unzureichend sind.
4 200 Euro Entschädigung für entgangene Zinsen
Davon hat David Profe aus Esslingen profitiert. Dabei sah es zunächst nicht so aus. Als er seine Wohnung zwei Jahre nach Abschluss des Kreditvertrags verkaufen wollte, forderte die Volksbank Ortenau fast 4 200 Euro Entschädigung für ihren Zinsausfall. Denn ihr Kunde hätte das Darlehen normalerweise erst zum Ende der Zinsbindung im Jahr 2028 kündigen dürfen. Wegen des Verkaufs der Wohnung stand ihm zwar ein außerordentliches Kündigungsrecht zu. Doch Banken dürfen eine Entschädigung für die vorzeitige Rückzahlung verlangen – im Prinzip jedenfalls.
Unser Rat
Vorfälligkeitsjoker. HabenSie den Kreditvertrag nach dem 20. März 2016 abgeschlossen, müssen Sie nach dem Verkauf Ihrer Immobilie keine Vorfälligkeitsentschädigung zahlen, wenn die Angaben im Kreditvertrag zur Berechnung der Entschädigung unzureichend sind. Lassen Sie den Vertrag von einem darauf spezialisierten Anwalt prüfen. Die Ersteinschätzung ist oft kostenlos. Rechtsberatung bieten auch die Verbraucherzentralen.
Widerrufsjoker. HabenSie Ihren Vertrag vom 11. Juni 2010 bis 20. März 2016 abgeschlossen, kommen Sie eventuell durch einen Widerruf des Vertrags um eine Vorfälligkeitsentschädigung herum. Dazu finden Sie ausführliche Informationen in unserem Special Immobilienkredite.
Neue Gesetzeslage seit 2016
Profe kamen Zweifel. Er schaltete den Rechtsanwalt Marko Huth von der Kanzlei Gansel Rechtsanwälte aus Berlin ein. Der kam zu einem eindeutigen Schluss: Wegen fehlerhafter Vertragsklauseln steht der Volksbank keine Vorfälligkeitsentschädigung zu. Das sah die Bank zunächst anders. Was „unzureichend“ konkret bedeutet, ist im Gesetz auch nicht definiert. Rechtsprechung gibt es dazu bisher kaum. Klar dürfte aber sein: Die Angaben der Bank dürfen nicht falsch oder irreführend sein. Das sind sie aber oft.
Wie wird die Entschädigung berechnet?
Im Vertrag der Volksbank Ortenau entdeckte Anwalt Marko Huth mehrere mögliche Fehler. Der gravierendste: Die Vertragsklausel konnte so verstanden werden, dass die Entschädigung bis zum Ende der Restlaufzeit des Darlehens berechnet wird, also bis zur vollen Schuldentilgung. Das ist unzulässig. Eine Bank darf ihren Zinsschaden längstens bis zum Ende der Zinsbindung berechnen. Diese war bei David Profe mehr als ein Jahr kürzer als die im Vertrag genannte Laufzeit, bis zu deren Ende der Kredit bei gleichbleibenden Konditionen getilgt wäre. Nach drei Anwaltsschreiben gab die Volksbank Ortenau nach. Sie überwies die bereits gezahlte Summe zurück.
Viele Fehler in Kreditverträgen
Auch Verträge anderer Banken enthalten oft Fehler, die ihren Anspruch auf eine Entschädigung aushebeln können.
Zinsbindung mehr als zehn Jahre. In vielen Verträgen steht, dass Kreditnehmer ihr Darlehen vor Ablauf der Zinsbindung nur gegen Vorfälligkeitsentschädigung zurückzahlen können. Das stimmt nicht, wenn die Zinsbindung mehr als zehn Jahre beträgt. Solche Darlehen sind mit einer Frist von sechs Monaten ohne Entschädigung kündbar, sobald zehn Jahre seit Vollauszahlung vorbei sind. Die Bank darf ihren Zinsverlust dann nur bis zum ersten Kündigungstermin berechnen.
Renditen von Pfandbriefen. Verträge von Genossenschaftsbanken enthalten mitunter den Hinweis, dass für die Berechnung des Zinsschadens die Renditen von „Kapitalmarkttiteln öffentlicher Schuldner“ maßgeblich sind. Das wären zum Beispiel Bundesanleihen. Laut Bundesgerichtshof sind dagegen die höheren Renditen für Hypothekenpfandbriefe anzusetzen.
Sondertilgung. Teilweise fehlt in Kreditverträgen der Hinweis, dass vereinbarte Rechte auf Sondertilgungen oder eine Ratenerhöhung zugunsten des Kunden zu berücksichtigen sind. Dadurch fällt die Vorfälligkeitsentschädigung meist deutlich niedriger aus als bei Krediten mit starrer Tilgung.
Stimmt der Vertrag nicht, muss der Kreditnehmer nicht zahlen
Einer Bank nutzt es in solchen Fällen nichts, wenn sie die Entschädigung am Ende trotzdem korrekt berechnet. „Fehler im Vertrag kann die Bank später nicht mehr heilen“, sagt Marko Huth. „Sind die Angaben über die Berechnung unzureichend, ist der Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung weg.“
Für Banken ein Déjà-vu
Die Banken hätten gewarnt sein müssen. In der Vergangenheit konnten Tausende Kreditkunden ihre Verträge widerrufen und hohe Entschädigungen sparen, weil Banken sie falsch über das Widerrufsrecht informiert haben (So kommen Sie aus teuren Kreditverträgen raus). Davon können heute noch Kreditnehmer profitieren – vor allem, wenn sie ihren Vertrag zwischen dem 11. Juni 2010 und dem 20. März 2016 abgeschlossen haben. Nach dem „Widerrufsjoker“ droht Banken nun viel Ärger mit dem „Vorfälligkeitsjoker“ wegen nachlässig formulierter Klauseln.
So wird die Entschädigung berechnet
Zeitraum. Wird ein Kredit vorzeitig zurückgezahlt, hat die Bank einen Schaden, weil sie vereinbarte Zinsen nicht erhält. Ihn soll die Vorfälligkeitsentschädigung ersetzen. Vorzeitig heißt: Vor dem Zeitpunkt, zu dem Kunden erstmals regulär kündigen können. Bei Festzinskrediten gilt längstens die Spanne bis zum Ende der Zinsbindung. Beträgt sie mehr als zehn Jahre, darf die Bank längstens die Spanne vom Rückzahlungstermin bis zum Ablauf von 10,5 Jahren nach Vollauszahlung des Darlehens ansetzen.
Wiederanlage. Für die Berechnung der Entschädigung gilt: Die Bank soll mit einer Ersatzanlage am Kapitalmarkt die gleichen Erträge erzielen, die sie bei regulärem Darlehensverlauf erwarten konnte. Benötigt sie dafür mehr Geld als die Restschuld, müssen Kunden die Differenz ausgleichen. Für die Wiederanlage sind die Renditen für Hypothekenpfandbriefe maßgeblich, deren Laufzeiten den vereinbarten Zahlungen entsprechen. Je größer die Differenz zwischen Kreditzinssatz und Pfandbriefrenditen, desto höher der Zinsschaden.
Sondertilgung. Haben Kunden das Recht zu Sondertilgungen, muss die Bank davon ausgehen, dass sie dieses Recht voll zu ihren Gunsten ausgenutzt hätten. Außerdem muss die Bank Risiko- und Verwaltungskosten abziehen, die sie durch die vorzeitige Kreditrückzahlung spart.
Negativrenditen. Strittig ist, ob die Entschädigung höher ausfallen darf als die Zinsen, die Kunden der Bank bis zum nächsten regulären Kündigungstermin schulden. Weil die Pfandbriefrenditen derzeit selbst bei langer Laufzeit negativ sind, ist das immer häufiger der Fall.
Tipp: Wie viel eine Bank maximal verlangen darf, ermittelt unser Vorfälligkeitsentschädigungs-Rechner.
August 18, 2020 at 06:07AM
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Immobilienkredite - So kommen Sie ohne Vorfälligkeitsentschädigung aus dem Vertrag - Stiftung Warentest
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